Papier gegen Kälte

Papier gegen Kälte

Florian Russi

Roman 2008, 452 Seiten

ISBN: 978-3-937601-47-2
Preis: Buch 19,95 €

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Eine packende Mischung aus Entwicklungsroman und spannendem Thriller.

Manfred Hoffmann, ehemals Klassenbester und Hoffnungsträger des gestrengen Lehrers Braun, ist ein angesehener Kinderarzt, hat eine eigene Praxis und strebt nach dem Professorentitel. Stets bemüht, allen in ihn gesetzten Erwartungen zu entsprechen, steuert sein Leben in eine Sackgasse. Die jahrelange wissenschaftliche Arbeit erweist sich plötzlich als vergebens, sein Karriereaufstieg ist gefährdet, seine Ehe gescheitert, alle Erwartungen enttäuscht.

Nach einer Reihe von rätselhaften Ereignissen fahndet er gemeinsam mit vier einstigen Schulfreunden nach einem untergetauchten Mitschüler. Dieser war damals vom alten Braun als Versager beschimpft und von der Schule verwiesen worden. Nun scheint er in den internationalen Drogen- und Waffenschmuggel verwickelt.
Auf ihrer Suche nach Genugtuung und nach Rechtfertigung für den eigenen Lebensweg werden Manfred und seine Freunde gefährlich weit in die Netze der organisierten Kriminalität gezogen.

Leseprobe

Taxi nach Beirut

Der Fremde lief den Marktplatz in Damaskus auf und ab und schien jemanden zu suchen. Er trug einen breiten Strohhut, ein Polohemd und von der Sonne gebleichte, karierte Hosen. Über die rechte Schulter hatte er einen Rucksack gehängt und in der linken Hand trug er eine Reisetasche aus Jute. Als ein alter schwarzer Mercedes anhielt, ging er eifrig gestikulierend darauf zu und rief: »Taxi to Beirut. Taxi to Beirut!«

Der Fahrer des Mercedes‘ winkte ab und deutete mit dem Daumen auf das Auto hinter sich. Aus dem nächsten Wagen lächelte ein Mann den Fremden freundlich an. Doch der wich zurück und ging auf das nächste Fahrzeug zu. Auch von diesem und dem danach folgenden wandte er sich wieder ab. Endlich schien ein dunkelblauer Peugeot 504 seine Billigung zu finden. Er redete eifrig auf den Fahrer ein. Der stieg aus, klopfte dem Fremden auf die Schulter und umarmte ihn. Es war ein kleiner, drahtiger Mann von etwa 40 Jahren. Sein Haar war leicht gekräuselt und er trug ein Schnurrbärtchen. Man hätte ihn für nichts anderes halten können als für einen syrischen Taxifahrer, der er ja tatsächlich auch war.

»Sie haben in mir den besten Taxifahrer von ganz Syrien und dem Libanon gefunden«, schwärmte er in einem eigenwilligen, aber durchaus verständlichen Englisch. »Für vierzig Dollar bringe ich Sie schnell und sicher von Damaskus nach Beirut. Sie können mir vertrauen wie Ihrem Bruder. Ich fahre diese Strecke zweimal in der Woche. Wenn wir in Beirut angekommen sind, werden wir Freunde fürs ganze Leben sein.«

»Ich merke, Sie sind der Mann, den ich suche«, antwortete der Fremde und wollte ins Auto einsteigen. Der Fahrer hielt ihn jedoch zurück.

»Welcome, Mister, ich muss mich noch schnell von meiner Frau und meinen Kindern verabschieden. Warten Sie auf mich in der Bar dort an der Ecke. Ich werde bald wieder zurück sein. Denken Sie daran, dass ich Ihr Freund bin. Probieren Sie den guten syrischen Kaffee, es gibt keinen besseren. Also bis bald.«

Eine gute Stunde später saßen die beiden nebeneinander in dem Peugeot und fuhren auf der Straße von Damaskus nach Beirut.
»Wie war der Kaffee?«
»Hervorragend! Ich werde nur noch syrischen Kaffee trinken.«
»Welcome! Ich wusste es, Sie haben Lebensart.«
Die Straße wand sich durch ödes Hügelland. Der Peugeot hatte schon lange Wege hinter sich, der Motor tuckerte laut, die Stoßdämpfer ächzten, die Polsterung der Sitze schwappte ungleichmäßig hin und her, in jeder Kurve quietschten die Reifen.
»Sie sind Amerikaner?«, fragte der Fahrer.
»Ja, aus Colorado.«
»Was haben Sie in Syrien gemacht?«
»Historische Stätten besichtigt, ich bin Hobby-Archäologe.«
»Oh, wunderbar; Sie sollten meinen jüngeren Bruder kennen. Er ist einer der bedeutendsten Antiquitätenhändler des Landes. Vielleicht könnte er Ihnen ein paar alte römische Vasen verkaufen. Wenn ich ihm sage, dass Sie mein Freund sind, macht er Ihnen einen guten Preis.«

»Danke, die Vasen sind mir auch schon von anderen Leuten angeboten worden. Die Fabrik, die sie hergestellt hat, scheint Pleite gegangen zu sein.«

»Oh, Sie sind ein Fuchs und der beste Kriminalist von Amerika. Ich bin stolz, Sie zum Freund zu haben. Nennen Sie mich Hassan!«
»Ich heiße William, sagen Sie Bill zu mir.«

Von vorne kam ihnen in großem Tempo ein anderes Auto entgegen. Es fuhr genau in der Straßenmitte. Hassan senkte die Geschwindigkeit des Peugeots nicht herab und hielt Kurs auf das entgegenkommende Fahrzeug. William schrie auf und hielt sich die Hände vor die Augen. Im letzten Moment lenkte der Entgegenkommende seinen Wagen zur Seite. Es war gerade eben noch mal gut gegangen.

»Syrische Autofahrer sind die besten!«, stellte Hassan fest und nickte zufrieden. »In dieser Gegend gibt es nur gute Autofahrer, die anderen leben nicht mehr. — Ist dir zu heiß, William? Dein Anzug ist ja ganz verschwitzt!«

»Ich habe mich aufgeregt wegen des entgegenkommenden Autos.«
Hassan pfiff vor sich hin. »Du warst schon vorher nervös. Vielleicht hast du zuviel Kaffee getrunken. Der syrische Kaffee ist sehr stark.«
»Hassan, ist Syrien ein diktatorisches Land«, fragte William, »ich meine: Ist die Regierung sehr streng?«
»Sehr streng!«
»Auch zu Ausländern?«
»Unsere Regierung ist sehr gerecht und sie passt gut auf! Sag mir, Bill, ist etwa dein Visum abgelaufen?«
»Nein, es gilt noch für zwei Wochen. Wieso fragst du? Kontrollieren sie an der Grenze so genau?«
»Der syrische Zoll ist der gefürchtetste in Vorderasien!«
William wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Im Irak musste man den Grenzbeamten ein Bakschisch geben; dann haben sie ein Auge zugedrückt.«

»Syrische Zöllner kann man nicht bestechen. Wenn du es versuchst, stecken sie dich ins Gefängnis.« Hassan unterstrich das, was er zuletzt gesagt hatte, indem er die Unterarme kreuzte.
William wurde bleich: »Du hast gesagt, dass du mein Freund bist.«
»Einer deiner besten!«

»Ich muss dir ein Geständnis machen. Ich will etwas schmuggeln.«
»Ich wundere mich sehr über dich, Bill. Was ist es denn, was du schmuggeln willst?«

»Ich sage es dir, weil ich Vertrauen zu dir habe. Deshalb habe ich dich auch in Damaskus unter vielen anderen ausgewählt. Es ist eine kleine Statue; die Göttin Venus.«

»Stammt sie auch aus der Fabrik?«
»Nein, sie ist echt! Ich habe sie selbst ausgegraben. Einheimische Freunde hatten mir einen Tipp gegeben. Sie ist aus purem Gold!«
»Es ist streng verboten, Gold zu exportieren.«
»Hassan, du musst mir helfen. Du hast so viel Erfahrung mit dem Zoll. Ich schenke dir hundert Dollar, wenn du mir einen guten Rat gibst.«
»Neulich ist ein Engländer mit mir gefahren. Er hatte seine Statue in den After gesteckt. Die Zöllner haben sie nicht gefunden.«
»Du denkst, ich soll...?«
William griff in seine Reisetasche und zog ein Papierbündel hervor. »Sie ist viel zu groß. Meinst du nicht, dass ich sie im Gepäck verstecken kann? Ich dachte ans Reisenecessaire.«
»Sie werden alles durchsuchen. Amerikaner werden besonders genau kontrolliert.«
»Ich biete dir zweihundert Dollar. Du musst dir etwas einfallen lassen!«
Hassan machte ein nachdenkliches Gesicht. »Weil du mein Freund bist, will ich dir helfen... Aber wenn sie die Göttin finden, verliere ich meine Lizenz. Ich habe eine Frau und vier Kinder. Ich denke, es war ein Fehler, mit dir Freundschaft zu schließen.«
»ich biete vierhundert Dollar!«
»Du bist ein wahrer Freund! Lass uns überlegen, wie ich dir helfen kann. Wo, denkst du, werden sie zuerst suchen?«
»Im Reisegepäck.«
»Richtig. Und dann?«
»Im Kofferraum.«
»Und dann?«
»Unter den Sitzen.«
»Richtig. Deshalb müssen wir die Göttin woanders verstecken. Hast du noch Geld für einen kleinen Umweg?«
»Wohin willst du denn fahren?«
»In ein kleines Dorf hier in der Nähe. Vertraue mir: Syrische Schmuggler sind auf der ganzen Welt die besten.«

Hassan fuhr über verstaubte Straßen in ein kleines Dorf, das nur wenige Kilometer entfernt an einem Berghang von vergangenen Zeiten träumte. Am Ortseingang, vor einem Haus aus Lehmziegeln, hielt er an und rief einen Namen. Im Eingang erschien eine ganz in Schwarz gekleidete ältere Frau. Hassan redete auf sie ein. Dann rief er nach William.

Rezension

aus Saarbrücker Zeitung vom 21.10.2008:

"...Das Buch handelt von fünf einstigen Schulfreunden, die sich jedes Jahr zu einem Wiedersehen in Saarbrücken treffen, haben sie doch alle am fiktiven Saarbrücker "Wilhelm-Heinrich-Gymnasium" die Schulbank gedrückt. Sie alle leiden unter den hohen Ansprüchen, die sie an sich selbst und an ihr Leben gestellt haben und die von ihrem strengen, aber auch einflussreichen Lehrer herrühren. Ihre unterschiedlichen Lebensläufe sind Teil der spannenden Handlung, in der sie gemeinsam nach dem ehemaligen "schwarzen Schaf" der Klasse suchen."